Wahrscheinlich kennt Ihr den Bericht bereits:
LZ Philipp Zurfluh 24.10.2023,
Jan Kovar, der Captain, hat so viel Spass wie noch nie; Lino Martschini, der Stürmer, ist in bestechender Form; Fabrice Herzog, der Powerflügel strotzt nur so vor Selbstvertrauen; Marc Michaelis, der deutsche Neuzugang ist am Dienstagabend (19.45 Uhr) beim Auswärtsspiel gegen die Rapperswil-Jona Lakers erstmals Träger des Topskorer-Helms. Der Leistungsaufschwung des EVZ ist an vielen Namen festzumachen. Doch ein Zuger, der schnell in Vergessenheit gerät und aufgrund seiner unscheinbaren Spielweise selten im öffentlichen Fokus steht, ist Livio Stadler.
Acht Skorerpunkte hat der Spieler nach 15 Partien auf seinem Konto und damit mehr als alle anderen seiner Verteidigerkollegen. Hätte jemand vor der Saison diese Prognose gewagt, der wäre für verrückt erklärt worden. Darauf angesprochen, muss er schmunzeln. «Die Punkte haben für mich eine geringe Bedeutung und sind ein schöner Nebeneffekt. Für mich steht die Mannschaft im Zentrum.» Der hochanständige 25-Jährige ist so bescheiden, dass es ihm schwerfällt, sich selbst zu loben. Gestern nach dem Training war es Coach Dan Tangnes, der das übernahm: «Man sieht und spürt, wie gut er sich derzeit fühlt. Ich freue mich sehr für ihn.»
Klammheimlich hat sich Stadler zurückgemeldet. Er spielt selbstsicher, abgeklärt, aggressiv, fast fehlerlos und hinterlässt einen stabilen Eindruck – ohne Wenn und Aber. Die letzten Wochen sind für ihn äusserst wohltuend. Denn vergangene Saison fand er sich in einer komplett anderen Situation wieder, seine Gemütslage von heute nicht vergleichbar mit jener vor wenigen Monaten.
Stadler musste sich sportlich durch ein tiefes Tal kämpfen. Er war ein Unsicherheitsfaktor in der Defensive. Plötzlich missglückten ihm die einfachsten Dinge. Als die erste tiefe Delle in seiner Karriere zur Sprache kommt, verhärten sich Stadlers Gesichtszüge. Er wird ernst. «Ich hatte ein sehr schwieriges Jahr, ich musste ganz unten durch», redet er offen über seine Leidenszeit. Erfrischend ehrlich erzählt er auch: «Ich weiss, dass ich manchmal einen Mist zusammengespielt habe.» Dennoch gingen gewisse Kommentare und die Medienschelte nicht spurlos an ihm vorbei. «Ich versuchte, Negatives nicht zu nah an mich heranzulassen. Aber ja, es hat mich getroffen. Ich habe einen Weg gefunden, damit umzugehen. Es bringt nichts, sich selbst zu bemitleiden.»
Man muss wissen: Für Stadler bedeutet der EVZ alles in seinem Leben. Sein Herz schlägt seit je für Blau und Weiss. Es ging so weit, dass ihn die Verunsicherung und der Abwärtsstrudel auch in der Freizeit nicht losgelassen haben. «Es hat mich innerlich aufgefressen.» Ein Teufelskreis. «Ich konnte das Privat- und Berufsleben nicht mehr voneinander trennen. Die sportlichen Probleme habe ich mit nach Hause genommen.»
Schliesslich hat er sich die Hilfe eines Mentaltrainers geholt. Wie sah das Mentaltraining aus, mit dem er sich aus der Krise befreien konnte? Eine zu persönliche Frage, die er in der Öffentlichkeit nicht beantworten möchte. Was er aber sagt: «Es hat sich ausbezahlt. Die aktuellen Leistungen sind eine Bestätigung für mich, dass ich nicht alles falsch gemacht habe.»
Laut Tangnes sei Stadler «einer der härtesten Arbeiter in unserem Team. Deshalb wird er auch in der Garderobe sehr geschätzt und respektiert». Der Abwehrspieler betont, wie wichtig es für ihn gewesen sei, dass Tangnes ihm stets den Rücken gestärkt habe. «Ich konnte ihm zu hundert Prozent vertrauen. Er weiss, wie er mit den Spielern umgehen muss.» Nach einer Handverletzung im Februar und dem abrupten Saisonende hat sich bei Stadler nicht nur auf mentaler Ebene viel getan. Der Abwehrspieler konnte über den Sommer an Muskelmasse zulegen und hat sich intensiv mit einer Ernährungsberaterin ausgetauscht.
Der eine oder andere Beobachter hätte ihm diese überraschend positive Rückkehr nicht zugetraut. Schliesslich hat mit Elia Riva vom HC Lugano ein gleichaltriger Verteidiger die Abwehr verstärkt und mit Leon Muggli macht ein 17-Jähriger Druck. «Der Konkurrenzkampf tut mir gut und macht mich besser», ist er überzeugt. Stadler, der in Unterzahl am meisten Eiszeit aller EVZ-Profis bekommt, ist so etwas wie der heimliche Gewinner in dieser noch jungen Saison. Er hat die erste sportliche Krise bravourös gemeistert. Die Lockerheit und das Selbstvertrauen sind zurück. Sie sind Livio Stadler gegenwärtig anzusehen.