"Reto Steinmann über den Videobeweis im schweizerischen Eishockey
Der ungesühnte Bandencheck
In der 58. Minute des Spiels EVZ – Kloten wird Zug-Gross von Kloten-Simic wuchtig in die Bande gecheckt. Der Arm des Spielleiters bleibt unten; gleichzeitig steigt der Lärmpegel in der Arena massiv an. Die Zuger Volksseele kocht. Kovar wird quasi zum fünften Offiziellen und klärt Simic über das begangene Unrecht non-verbal auf, nämlich mit den Fäusten.
Der Vorfall vom letzten Freitag führt zu einem Powerplay für Kloten statt für Zug. Der EVZ verliert schliesslich das Spiel in der Overtime. Die beiden Refs hatten die Szene nicht wirklich mitbekommen, weshalb ihr Arm unten blieb und keine Strafe angezeigt wurde. Auf den Rängen (und auch von Coach Tagnes) wurde gefordert, die Szene via Video-Review zu begutachten.
Das Reglement sieht die Vision von TV-Bildern nur vor, wenn eine Strafe angezeigt worden ist oder ein Linesman einen der Refs darauf hingewiesen hat, es habe sich ein Vorfall ereignet, der eventuell mit einer Grossen Strafe (Fünf-Minuten-Strafe) zu sanktionieren sei (Reporting to Referee, Regel 32.4 IIHF-Regelbuch).
Die Abteilung Schiedsrichter von Swiss Ice Hockey fordert insbesondere für die nachträgliche Visionierung von solchen Szenen seit mehreren Jahren die Installierung eines sogenannten Situation-Rooms. Ähnlich dem VAR im Fussball sitzen Experten ausserhalb der Stadien vor Bildschirmen, begutachten nach der Kontaktnahme durch den Schiedsrichter heikle Szenen und geben dem Ref eine Empfehlung ab, ob ein Vorfall zu sanktionieren ist.
An der WM sind solche Situation-Rooms seit längerem Standard, in grossen europäischen Ligen zum Beispiel in Finnland, Schweden und Tschechien seit ein paar Jahren ebenfalls. Nur in der hiesigen Liga, gemäss eigener Einschätzung eine der besten und schnellsten ausserhalb der NHL, tut man sich schwer damit. Der Grund sind die Kosten von zirka 100000 Franken pro Klub. Hinzu kommt, dass die Ligaführung es bewenden lässt mit dem Verwalter-Argument, die Klubs müssten halt entscheiden.
Diese technische Anpassung zur Vermeidung von Fehlentscheiden auf dem Eis vor allem betreffend gesundheitsgefährdende Aktionen ist überfällig. Es gäbe auch eine simple Lösung, Vorfälle wie den Check von Simic an Gross schliesslich durch die Unparteiischen nachträglich doch noch sanktionieren zu können. Dies in Form eines «Referee-Challenge» (ähnlich der Coaches-Challenge bei einer eventuellen Offiside-Situation). Konkret: Die Schiedsrichter dürften ebenfalls einmal pro Spiel eine auf dem Eis nicht bestrafte beziehungsweise übersehene Situation mittels Video-Review nachträglich begutachten und auch sanktionieren. Dies allerdings nur in schwerwiegenden Fällen mit der möglichen Folge einer Grossen Strafe.
Auch auf diese einfache Weise liesse sich etwas Druck von den Schultern der Refs nehmen, die (im Unterschied zu den Zuschauern im und ausserhalb des Stadions dank der TV-Bilder) das Geschehen nur auf Augenhöhe beobachten können und sofort entscheiden müssen, eine Strafe anzuzeigen.
Die Bilder des konkreten Falls wurden von den Schiedsrichtern via deren Vorgesetzten dem Player Safety Officer (PSO, der «Staatsanwalt») nach Übersee übermittelt. Seine eigenartige, aufgrund der Einschätzung von vergleichbaren früheren Fällen nicht ganz überraschende Entscheidung: kein Regelverstoss und deshalb kein Antrag an den Einzelrichter auf Eröffnung eines Verfahrens. Der EVZ selbst hätte allerdings auch aktiv werden und beim PSO einen Antrag auf Eröffnung eines Verfahrens stellen können. Die Klubs scheuen sich vor solchen Anträgen. Man will das gute Verhältnis untereinander nicht gefährden.
Und man weiss ja nie, vielleicht wird es in einigen Wochen einen neuen Fall geben, quasi mit umgekehrtem Vorzeichen. In schwerwiegenden Fällen wie dem vorliegenden kann solche Rücksichtnahme in den Clinch geraten mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers für seine Angestellten. Es geht um die Gesundheit der Spieler, die so gut als möglich zu schützen ist. Dies auch in einer Art general-präventiver Form, nämlich durch das Bemühen der Verbandsjustiz.
Im vorliegenden Fall besteht weitgehend Einigkeit: Axel Simic hätte für diesen Check mit einer Grossen Strafe plus Restausschluss belegt werden müssen. Weil das auf dem Eis nicht mehr möglich war, halt nachträglich in Form eines entsprechenden Entscheids durch den Einzelrichter.
Der EV Zug hat zwei Punkte verloren. Das ist ärgerlich. Die Aktion von Simic bleibt unbestraft. Das ist das wirklich Unschöne." (Zuger Zeitung von heute)