EVZ-Kolumne zum «Fall Hansson» Zuger Zeitung
Ein Fehlentscheid, der nicht hätte passieren dürfen
Im Spiel EV Zug – HC Lausanne vom 19. November befand sich Niklas Hansson, der schwedi- sche Verteidiger der Zuger, in der 51. Minute an der Bande, erhielt die Scheibe und leitete diese sogleich weiter. Unmittel- bar darauf wurde der EVZ- Spieler von Lausannes Abwehr- spieler Aurélien Marti wuchtig am Knie gecheckt. Das Spiel war für Hansson vorbei. Er wird wegen einer erheblichen Knieverletzung für drei Monate ausfallen.
Das Unparteiischen-Quartett erblickte in der Aktion von Marti keinen Regelverstoss und liess den Match weiterlau- fen. Die Partie nicht zu unter- brechen, entsprach zwar dem Regelbuch, denn der Pfiff der Refs nach einer Verletzung bei
einem Spieler ist nur zulässig, wenn die Equipe des Verletz- ten in Scheibenbesitz gelangt (ausser bei erkennbar sehr schweren Verletzungen). Diese Regel will Zustände wie im Fussball verhindern, wo Spie- ler nach einem Zweikampf oft einfach liegen bleiben, um einen Unterbruch durch den Schiedsrichter zu erwirken.
Bei der Aktion von Marti gegen Hansson handelte es sich um einen glasklaren Check gegen das Knie. Das nach solchen Zwischenfällen jeweils in eigener Regie umgehend temporär installierte Platz- klub-Volksgericht hatte die Situation sofort erkannt, entsprechend mit Pfiffen bedacht und die Einschätzung nach dem Blick auf den Würfel
mit den Bildern der Szene auch bestätigt erhalten. Schiedsrichterchef Andreas Fischer gelangte nach dem Spiel und der Visionierung der Aktion zum gleichen Ergebnis: Check gegen das Knie, der auf dem Eis mit einer grossen Strafe plus einer Spieldauer- disziplinarstrafe hätte geahn- det werden müssen.
Das Reglement sieht vor, dass die Abteilung Officiating alle Vorfälle mit verletzten Spielern dem Player Safety Officer (PSO, von Funktion und Aufgabe her mit dem Staatsanwalt im bürgerlichen Strafrecht zu vergleichen) bis um 2 Uhr des dem Spiel folgenden Tages melden muss. Dies geschah im vorliegenden Fall fristgerecht. Der PSO hat drei Möglichkei-
ten zu reagieren. Er stellt beim Einzelrichter den Antrag auf Eröffnung eines Verfahrens und kategorisiert den Fall als leicht, mittelschwer oder schwer. Oder er verzichtet ohne Begründung auf einen solchen Antrag («No request»). Dies geschah im vorliegenden Fall zur Überraschung nicht nur in EVZ-Kreisen.
Es handelt sich dabei um einen Fehlentscheid, der nicht hätte passieren dürfen, und kontras- tiert mit dem guten Ruf, wel- cher der Verbandsjustiz grund- sätzlich vorauseilt. Der Fehl- entscheid ist sogar krass, weil dem PSO noch die dritte Mög- lichkeit offen gestanden wäre. Er hätte in Anwendung des vom bürgerlichen Strafrecht übernommenen Grundsatzes
«In dubio pro duriore» (im Zweifelsfalle ist Anklage zu erheben) den Fall an den Einzelrichter überweisen können. Mit dieser Regel wird ermöglicht, dass Fälle mit verletzten Spielern vom Einzel- richter genau geprüft und allenfalls sanktioniert werden können, obwohl der PSO der Ansicht ist, es liege kein Regel- verstoss vor.
Weshalb der PSO auch auf diese Variante verzichtete und dadurch eine saubere Abklä- rung der Aktion durch Befra- gung der Involvierten, exakte Analyse der Bilder und Beizug der ärztlichen Berichte verhin- derte, ist nicht nachvollziehbar. Die Beurteilung durch den Einzelrichter (der ohne Antrag nicht tätig werden darf) hätte für Marti mit hoher Wahr- scheinlichkeit zu mehreren Spielsperren geführt, denn es ist von einem «mittelschweren Fall» gemäss Kategorie 2 (das Strafmass in dieser Kategorie beträgt zwei bis vier Spielsper- ren) auszugehen.
Reto Steinmann*
[email protected]
*Reto Steinmann ist langjähriger Eishockeyjournalist, war von 2004 bis 2016 Einzelrichter für Swiss Ice Hockey und praktiziert als Rechtsanwalt und Notar in Zug.