Vom Zerwürfnis zur Versöhnung: Raphael Diaz schlägt beim EV Zug das wohl letzte Kapitel auf.
Der Ur-Zuger Raphael Diaz kehrt zurück an den Ort, wo alles begann. Der Verteidiger glaubt, nach wie vor eine tragende Rolle spielen zu können. Das hat auch mit der professionellen Einstellung des 39-Jährigen zu tun.
Auf die Minute genau trifft Raphael Diaz zum vereinbarten Zeitpunkt ein. Treffpunkt: der Pausenplatz vor dem Schulhaus Letzi im Zuger Quartier Herti. Dort, wo der heute 39-Jährige den Kindergarten und die Primarschule besuchte. Dort, wo die grosse internationale Hockeykarriere ihren Anfang nahm. «Hier haben wir fast jede Minute in der Freizeit Hockey und Fussball gespielt», sagt Diaz. «Viel hat sich nicht verändert.» Er zeigt auf zwei kleine Tore. Kindheitserinnerungen werden wach, Diaz kommt ins Erzählen. Seine Eltern schickten ihn zum Fussball, doch mit dem Ball konnte er wenig anfangen. «Ich durfte die Hände nicht benutzen, das passte mir überhaupt nicht in den Kram.»
Der kleine Raphael wusste genau, was er wollte: «chneblen» auf dem Eis. Er liess nicht locker, bis ihn seine Eltern erhörten und ihn zum Eishockey schickten. Diaz war sportlich begabt, viel mehr als andere. Und die Passion fürs Eishockey, sie ist auch 30 Jahre später noch in voller Intensität da. «Ich habe Lust auf ein weiteres Kapitel», sagt er. Dieses Kapitel heisst EV Zug. 731 Ligaspiele hat er im Dress der Zuger bereits absolviert. Institution
Fabian Schnyder (873) wird er wahrscheinlich nicht als EVZ-Rekordspieler ablösen, doch es werden wohl noch einige Dutzend Spiele dazukommen.
Der 39-Jährige spricht von einer «emotionalen Rückkehr». In Zug kennt er sich bestens aus, hier fühlt er sich mit seiner Frau Myriam zu Hause. Die Familie wohnt in Baar, die Kinder gehen in Zug zur Schule. Diaz sagt: «Ich bin einfach nur glücklich, wieder für meinen Kindheitsverein zu spielen.»
Diaz und EVZ: Die Differenzen sind bereinigt
Doch wie ist die Heimkehr nach seinem vierjährigen Aufenthalt beim Fribourg-Gottéron überhaupt zu Stande gekommen? Viele hielten ein erneutes Engagement beim EV Zug für wenig realistisch. Zu viel Geschirr sei zerschlagen worden, so die Bedenken. Im Dezember 2020 hatte sich nämlich
ein Transferbeben grösseren Ausmasses ereignet. Diaz und Zug wurden sich bei der Dauer des neuen Vertragskonstrukts nicht einig. Und so trat ein, was man als Beobachter nicht für möglich hielt. Diaz sagte Adieu, Fribourg-Gottéron war der lachende Dritte.
Auch weil Diaz, die Zuger Identifikationsfigur schlechthin und Botschafter des Ausbildungsprojekts EVZ Academy, dank seiner Verdienste ein hohes Ansehen genoss, war nach dem Bekanntwerden der Trennung der Aufschrei bei den Anhängern gross. Sie äusserten zuweilen scharfe Kritik. Zu persönlichen Feindseligkeiten sei es aber nie gekommen, versichert Diaz. «Klar, hat es viele Fragen gegeben. Ich konnte den Frust und die Enttäuschung nachvollziehen.» Doch es gab durchaus auch Diaz-Sympathisanten, die den EVZ-Chefs Knausrigkeit und fehlende Kompromissbereitschaft vorwarfen.
So war das Verhältnis zwischen Diaz und dem EVZ lange angespannt. Bevor überhaupt eine erneute Zusammenarbeit in Betracht gezogen werden konnte, wurde diese Thematik in einem ehrlichen Austausch zwischen Diaz und Sportchef Reto Kläy geklärt. Die Gespräche seien immer offener und besser geworden. Alles im Lot also? «Ja, die Differenzen sind bereinigt», hält Diaz fest. «Ich habe die Vergangenheit abgehakt. Mir war es wichtig, reinen Tisch zu machen.» Im Gespräch mit dem Verteidiger ist zu spüren: Er hat mit dieser Causa abgeschlossen, er wirkt ruhig und gelassen.
Auch nachdem klar gewesen ist, dass Diaz und der EVZ getrennte Wege gehen, brachte der damalige Captain weiterhin seine Leistung. Er stellte sich komplett in den Dienst der Mannschaft und krönte seinen Abschied mit dem Meistertitel 2021 – ein versöhnliches, emotionales Ende. «So den Klub zu verlassen, war ein unbeschreiblich schönes Gefühl», sagt Diaz. Nach vier verlorenen Finals (WM 2013 und 2018, Meisterschaft 2017 und 2019) stand er endlich auf der Gewinnerseite.
Die Zutat von Diaz: Leadership
Mit 35 Jahren nochmals den Klub zu wechseln, sei eine grosse Herausforderung gewesen, erzählt der Zuger. «Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Die Zeit in der Romandie hat mir gutgetan.» Beeindruckt habe ihn die Hingabe der Freiburger Fans: «Sie sind wie eine Wand hinter uns gestanden, auch wenn wir Mist gespielt haben.»
Seine Liebe zur Heimat und zum EV Zug ist aber nie erloschen. Nun ist sie neu entflammt. «Ich bin bereit, das Maximum zu geben und freue mich auf das, was kommt», sagt Diaz. Er erwartet, «dass wir als Team zusammenwachsen und den Fans Freude bereiten». Ja, auch Gedanken an einen Rücktritt seien im Kopf herumgeschwirrt, aber konkret wurden sie nicht. «Denn die Leidenschaft für das Spiel ist noch voll da», so Diaz. Auch andere Schweizer Klubs haben sich nach ihm erkundet. «Aber als ich spürte, dass mich Zug mit offenen Armen empfängt, war für mich der Entscheid klar.»
Diaz hat viel gesehen und erlebt im Eishockey. 214 NHL-Partien haben sich angehäuft. In Übersee entwickelte er sich zu einem der smartesten Schweizer Verteidiger mit internationalem Format. In der EVZ-Abwehr treffen nun zwei Generationen aufeinander. Diaz spielt an der Seite von Mischa Geisser, 19, oder Nic Balestra, 20, die vom Alter her glatt als seine Söhne durchgehen könnten. Diaz soll helfen, die Jungen besser zu machen. Seine Erfahrungen als Führungsspieler, seine Sozialkompetenz in der Kabine: Auch deswegen wird er in Zug geschätzt. Diaz: «Ich will mir die Zeit nehmen, um mit den Mitspielern zu sprechen und ihnen zu helfen.» Den Begriff Lehrmeister lehnt er jedoch ab. «Wenn wir auf dem Eis stehen, spielen die 20 Jahre Unterschied keine Rolle. Dann sehe ich mich einfach als Teamkamerad.»
Topfit mit 39 Jahren – wie macht er das?
Diaz ist nicht mehr jener «Eiszeit-König» von früher, als er noch beständig über 20 Minuten pro Spiel abspulte und die erste Geige spielte. Seine Punkteproduktion ist rückläufig. Drei Tore und sieben Assists waren in der letzten Saison in 66 Spielen auf der Haben-Seite. Doch in seinem Pflichtenheft stehen nicht primär Tore oder Assists, sondern verlässliche Defensivarbeit. Er hat das Auge für Raum und Mitspieler und besticht mit Coolness, Antizipationsfähigkeit und Spielintelligenz. «Ich weiss, was ich kann. Ich bin sicher, ich kann dem Team noch wertvolle Impulse geben», sagt Diaz. Bei Gottéron kam der Defensivmann vermehrt auch im Boxplay zum Einsatz. «Eine Aufgabe, die mir Spass macht und wofür ich mir nicht zu schade bin.»
Im Januar wird Diaz 40-jährig. Nur Julien Sprunger (Fribourg-Gottéron), Marc-Antoine Pouliot (Genève-Servette HC) und Pierre Edouard-Bellemare (HC Ajoie) sind noch älter. Doch Diaz ist zäh, die Verschleisserscheinungen halten sich in Grenzen – auch wegen seines angepassten Spielstils. «Ich kann nicht mehr bei jedem Shift volle Pulle geben wie früher. Früher hat mir der Körper mehr verziehen.» Diaz betont, dass er viel Sorge zu seinem Körper trage. «Vielleicht bin ich etwas disziplinierter als andere», sagt er und schmunzelt. «Viel schlafen, gesund essen, genügend regenerieren.» Wenn ihn vor dem Schlafen etwas beschäftigt, schreibt er es auf und nutzt auch Atemtechniken zur Entspannung. Bahnbrechende Enthüllungen sind das nicht, aber es ist die Basis, dass er sich noch immer in physisch sehr guter Form befindet.
Im nächsten Frühling verliert Diaz’ Einjahresvertrag seine Gültigkeit. Was dann? Hängt er noch ein Jahr an? Oder ist dann definitiv Schluss? Diaz überlegt kurz und bleibt vage: «Es ist alles möglich.» Stimmt die körperliche Fitness, ist ein zusätzliches Jahr durchaus denkbar. Jetzt sage er oft zu sich selbst: «Raphi, geniesse es, solange du kannst!»
Auch wenn er im Hockey ein Oldie ist, sind seine Erwartungen an sich selbst keineswegs kleiner geworden. Raphael Diaz will es allen nochmals zeigen – beim EVZ, wo sich für ihn der Kreis schliesst, am Ort, wo alles begann.
LZ