«Die Verhandlungen führte ich selbst» – Michael Liniger spricht offen über seinen neuen Job als EVZ-Trainer
Vom Assistenz- zum Cheftrainer: Michael Liniger steht ab sofort im Fokus der Öffentlichkeit. Der 45-Jährige schwärmt von seinem EVZ-Engagement, obwohl Leute aus seinem Umfeld ihm davon abgeraten haben. Er verrät zudem, welche Trainer-Legende ihm gratuliert hat.
Mögen Sie Provokationen?
Michael Liniger: Ich kann gut damit umgehen. Warum?
Wer holt den Vize-Meistertitel hinter den ZSC Lions?
Wenn wir in den Final kommen, dann gehen wir nicht als Verlierer vom Eis. Davon bin ich überzeugt.
Klotens Trainer Lauri Marjamäki hat vor einem Jahr beim ersten Training den Spielern ein Fragebogen gereicht, um mehr über sie zu erfahren. Wie haben Sie das Eis gebrochen?
Ein Fragebogen war nicht nötig, da ich schon seit zwei Jahren hier bin. Das erste Meeting lag mir am Herzen. Ich sagte den Spielern, welche beiden Grundwerte mir wichtig sind: Respekt und Wertschätzung, die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.
Ganz konkret: Was verstehen Sie unter diesen Werten?
Es sind einfache Dinge. Es geht zum Beispiel um Wertschätzung gegenüber der Materialverwaltung. Dass man sich als Profi seiner Privilegien bewusst ist. Jeder Spieler füllt eine andere Rolle aus, jede ist wichtig. Es geht darum, dass jenen Spielern, die nicht ständig von Fans und Medien hochgejubelt werden, Respekt entgegen gebracht wird.
Blicken wir einige Monate zurück. In welcher Verfassung haben Sie das Team bei Ihrem Arbeitsbeginn angetroffen?
Ich habe in den Gesprächen viel Selbstkritik und ebenso Aufbruchsstimmung gespürt. Die Spieler waren willig, es unbedingt besser machen zu wollen. Und sie waren offen für neue Ansätze.
Eine kollektive Depression haben Sie demzufolge nicht ausgemacht?
Nein. Die Spieler haben wahrgenommen, dass das Management und der Trainer-Staff selbstkritisch mit sich ins Gericht gegangen sind. Das haben sie geschätzt.
Die Mannschaft hatte vergangene Saison Mühe, mit Widerständen umzugehen. Was ist Ihr Rezept?
Wir müssen bereit sein, uns durch eine Druckphase durchzukämpfen. Wenn wir taktisch gut spielen, dann überstehen wir solche Situationen. Letzte Saison gingen die Spieler nicht immer gemeinsam durch dick und dünn und waren nicht bereit, die Extrameile zu laufen.
Die Spieler haben mit dem Finger auf ihre Kollegen gezeigt, statt sich selbst zu hinterfragen.
Zu oft, das stimmt. Entscheidend ist, wie man mit Fehlern umgeht, was man aus ihnen lernt. Ich stehle mich da nicht aus der Verantwortung.
Die Spieler schätzen Ihre klare und sachliche Kommunikation. Sind Sie ein fordernder Trainer?
Ja. Das äussert sich in ehrlichen Feedbacks und klaren Analysen von Spielsituationen. Ich bin fordernd, was Einsatz und Aufopferungsbereitschaft betrifft. Da dulde ich keine Entschuldigungen.
Waren Sie schon immer ein Trainer, der viel verlangt?
Das hat schon in meiner Spielerkarriere begonnen. Ich war immer ein Teamplayer. Viele haben mich als Defensiv-Center beschrieben, obwohl ich keine schlechten Skorerwerte hatte
(lacht). Ich will nicht, dass die Spieler Angst vor mir haben. Alle Rückmeldungen dienen dazu, die Spieler und das Team besser zu machen. Die Spieler müssen sich noch etwas daran gewöhnen, dass ich sie direkt anspreche. Da kommt mir vielleicht ab und zu ein Fluchwort über die Lippen, doch Respekt steht bei mir über allem.
Spieler Liniger wäre wohl der Lieblingsschüler von Trainer Liniger.
Ich war bei den Trainern recht beliebt, das darf ich schon so sagen
(schmunzelt). Ich habe meine eigenen Ziele nie über jene des Kollektivs gestellt. Ich war kein Superstar, das war mir nicht wichtig. Mir ist auch bewusst, dass es mit einem Team voller Linigers auch nicht funktionieren würde. Auf dem Eis braucht es in gewisser Hinsicht auch Egoismus, aber nie zum Schaden des Teamgedankens.
Wie lange dauert es, bis Ihre DNA installiert ist?
Ich bin grundsätzlich nie zufrieden. Vielleicht werde ich nur zweimal in der Saison sagen können: Wow, das war eine Top-Leistung. Mein Ziel ist es, nach Perfektion zu streben. Ich bin nicht unzufrieden mit dem Prozess, aber wenn ich unser Potenzial sehe, dann haben wir es noch längst nicht ausgereizt.
Vor dem Wechsel nach Zug vor zwei Jahren hätten Sie Assistent von ZSC-Trainer Marc Crawford werden können. Weshalb haben Sie dieses Angebot abgelehnt?
Ich spürte: Der EV Zug hat einen Plan mit mir. Ich habe mich für den härteren Weg entschieden.
Haben Sie damals beim EVZ unterschrieben, weil Sie darauf spekulierten, künftig Cheftrainer zu werden?
Ich habe gedacht, dass vielleicht meine Chance kommen wird. Wahrscheinlich nicht in Zug, da Dan Tangnes noch länger einen Vertrag hatte.
Als Sie erfahren haben, dass Tangnes aus dem Vertrag aussteigt, sind Sie sofort ins Büro von Sportchef Reto Kläy gerannt und haben Ihr Interesse angemeldet?
Nein, ich habe rund zwei Wochen gewartet, auch aus Respekt gegenüber Dan. Ich habe gewusst, dass ich mit ein paar anderen Bewerbern in der engeren Auswahl stehe.
Personen aus Ihrem engsten Umfeld haben Ihnen von diesem Job abgeraten. Weshalb?
Das meistgehörte Argument war: Du kannst nach der Tangnes-Ära sowieso nur verlieren, der Druck ist viel zu gross. Ich kann solche Äusserungen nachvollziehen. Aber Druck hat man überall in diesem Business. An anderen Orten würde ich von null anfangen müssen, das ist hier nicht so. Dan ist in Zug eine Legende. Meine Aufgabe ist es nicht, Dan eins zu eins zu ersetzen. Ich vergleiche mich nicht mit ihm.
Sie haben ohne Ihren Agenten verhandelt.
Ich wurde von ihm beraten, doch ich habe zu meinem Agenten gesagt, dass er im Hintergrund bleiben soll. Die Verhandlungen führte ich selbst.
Ist das nicht verrückt?
Es haben nicht alle verstanden. Finanziell hätten andere an meiner Stelle womöglich mehr herausgeholt. Vielleicht bin ich etwas naiv, aber ich empfinde meinen Vertrag als fairen Deal. Es fühlt sich richtig an.
Stimmt es, dass Arno Del Curto Sie angerufen und Ihnen zum Job gratuliert hat?
Ja, ich habe mich riesig gefreut. Er hat mir gratuliert und gesagt: Du wirst das rocken. Es sei toll, dass eine Organisation den Mut zeige, einen Schweizer Trainer zu installieren. Ich habe noch nie einen Menschen erlebt, der eine solche bedingungslose Leidenschaft fürs Eishockey aufbringt. Er verfügt über eine unglaubliche Energie. Wie er mit den Spielern umging, war ab und zu schon grenzwertig
(lacht). Aber er hat sie geliebt wie seine eigenen Kinder und wollte das Beste aus ihnen heraushole
Man nimmt Sie als netten Typen von nebenan wahr. Doch bei einem Spiel gegen die ZSC Lions im Februar, als Sie Tangnes vertraten, wurden Sie zum Vulkan. Mysports-Experte Christian Wohlwend sagte: «Er sieht ja eigentlich mehr aus wie der Sohn des Pfarrers.» Seither wissen wir: Sie können auch toben.
Ich werde nie für die Kamera coachen, sondern für meine Mannschaft. Es braucht einiges, damit ich aus der Haut fahre. Vor der Mannschaft kann ich laut werden, aber immer auf eine respektvolle Art. Früher in der Swiss League war ich noch emotionaler.
Als Sie als neuer Headcoach präsentiert wurden, rief das bei den Fans auch kritische Reaktionen hervor. Können Sie solche Standpunkte nachvollziehen?
Dass ich nicht Everybody's Darling bin, ist mir klar. Ich kann das nicht beeinflussen. Die Meinungen sind schnell gemacht. Die Fans urteilen oft rein nach den Resultaten und können nicht hinter die Fassade blicken. Ich bin niemandem böse, wenn Fans eine solche Haltung haben. Es ist mir bewusst, dass ich nicht alle 7000 Zuschauer im Stadion happy machen kann.
Sie erwähnten mal, die National League sei ein Haifischbecken. Sind Sie schnell genug, um sich über Wasser zu halten?
Es ist ein Haifischbecken, aber solange ich authentisch bleibe und für meine Werte einstehe, kommt es gut. Ich möchte abends in den Spiegel schauen und sagen, dass ich für die Mannschaft und die Organisation mein Bestes gegeben habe.
Wäre es unter Umständen auch ein gutes Abschneiden, wenn der EVZ den Meistertitel verpassen sollte?
Ja, ich denke schon. Aber wir gehen All-in. Es wäre letzte Saison nicht so viel Drama gewesen, wenn wir uns betreffend Leidenschaft und Opferbereitschaft auf andere Art und Weise präsentiert hätten. Wenn wir das Maximum geben, wird das vom Publikum honoriert. Unsere Bereitschaft und unsere Auftritte können wir kontrollieren, aber es steht immer ein Gegner auf der anderen Seite des Spielfelds.
Ist der EV Zug die Chance Ihres Lebens?
Ich habe meinen Traumjob gefunden. Das Timing ist perfekt, die Voraussetzungen stimmen. Ich spüre das Vertrauen meiner Chefs, das gibt mir ein sehr gutes Gefühl.
LZ