«Das innere Feuer lodert noch»
Gespräche mit NHL-Klubs, Dialoge mit Fans und die Krise des Captains: EVZ-Trainer Dan Tangnes äussert sich vor dem Saisonauftakt.
Sind Sie abergläubisch?
Dan Tangnes: Nicht extrem, ein bisschen. Bei den Heimspielen benutze ich vor Spielbeginn immer das linke Pissoir, in der Pause das rechte. Diesbezüglich musste ich mir auch schon den einen oder anderen Spruch anhören (lacht). An Spieltagen habe ich mir Routinen angeeignet und lege mir einen Plan zurecht, der mir ein Stück weit Sicherheit gibt. Ich mache mir jeweils Gedanken zu diversen Fragen: Wie wird das Verhalten des anderen Trainers während des Spiels sein? Was sage ich den Spielern nach einem Sieg oder einer Niederlage? Welche Fragen erwarten mich von den Journalisten?
Stichwort Aberglaube: Jetzt treten Sie Ihr verflixtes siebtes Jahr hier in Zug an.
In meinem Business gibt es normalerweise kein siebtes Jahr.
Was den Trainerverschleiss betrifft: Nur Luca Cereda beim HC Ambri-Piotta ist länger im Amt. Was bedeutet Ihnen das?
Ich fühle mich grossartig. Ich habe immer noch viel zu geben und schätze es jeden Tag, in dieser innovativen Organisation arbeiten zu dürfen. Es geht um Konstanz. Das ist die Basis, um erfolgreich zu sein. Wir haben einen Stamm von Spielern, die über eine längere Zeit hier zu Hause sind. Das macht es gleichzeitig herausfordernd. Es verhält sich wie in einer Beziehung. Man muss immer wieder neue Impulse setzen, sonst bleibt man an Ort stehen.
Versetzen Sie sich in den April zurück, in die Tage nach dem Halbfinal-Out gegen die ZSC Lions. Verspürten Sie damals Lust, ein neues Trainer-Abenteuer zu starten?
Ich gehe immer sehr selbstkritisch mit mir um. Ich will nicht, dass mich das Management eines Tages aus der Arena tragen muss. Wenn ich fühle, nicht mehr der richtige Trainer zu sein, sage ich das offen. Das war aber bei mir nicht der Fall. Es ist so, dass wir mit den beiden Meistertiteln riesige Erwartungen geschaffen haben, umso grösser war die Fallhöhe.
Ist die Erwartungshaltung zum Problem geworden?
Durch die Erfolge hat sich einiges verändert, die Ansprüche sind gestiegen. Man muss die letzten beiden Jahre relativieren: Seit ich hier bin, hat kein anderes Team eine solche Konstanz hingelegt, wie wir es getan haben. Wir sind stets auf einem hohen Level unterwegs gewesen und haben immer mindestens den Halbfinal erreicht. Man muss sich bewusst sein, dass in dieser ausgeglichenen Liga mehrere Organisationen in der Lage sind, Titel zu gewinnen. Was klar ist, wir wollen in dieser Saison ein hartnäckiger Herausforderer sein und angreifen.
Bei Ihnen ist nach wie vor genügend Motivation vorhanden?
Absolut. Ich bin weder körperlich noch mental ausgelegt. Das innere Feuer lodert noch.
Obwohl Sie vertraglich bis 2026 an den EV Zug gebunden sind, hätten Sie dank einer Klausel in die NHL wechseln dürfen.
Der EV Zug hat mir ermöglicht, Gespräche mit zwei NHL-Organisationen zu führen. Es ging um den Job als Assistenztrainer. Es war spannend, sich ihre Vorstellungen und Visionen anzuhören. Das Interesse an meiner Person schmeichelt natürlich. Aber ich sagte ihnen auch: Ich habe in Zug den besten Job ausserhalb der NHL. Sobald mich das Gefühl beschleicht, dass die Mannschaft nicht mehr hinter mir steht, ich sie mit meinen Worten nicht mehr erreiche, oder ich nicht mehr die nötige Energie aufbringen kann, dann werde ich die Notbremse ziehen. Aber an diesem Punkt stehe ich nicht, ganz im Gegenteil.
Nach dem enttäuschenden Saisonende prasselte auch einiges an Kritik auf die Mannschaft ein. Wie viele Nachrichten haben Sie persönlich erhalten?
Da gab es schon einige. Wenn es konstruktive Inhalte sind, habe ich damit keine Probleme und schätze das. Vor zwei Tagen hatte ich zusammen mit dem Captains-Team einen Austausch mit einer Auswahl von Fans.
Wie haben Sie den Dialog erlebt?
Sehr offen und sachlich. Ich habe den allergrössten Respekt vor unseren Fans. Die beiden Meistertitel haben mir unvergessliche Erinnerungen geschenkt. Seit ich hierhergekommen bin, sind die Fans immer grossartig mit mir umgegangen. Jeder Fan ist auch ein bisschen Trainer und hat seine Meinung. Als Trainer kann man es nie allen recht machen. Womit ich etwas Mühe hatte, waren Vorwürfe in E-Mails, worin sich Leute beschwerten, dass wir uns nach dem Ausscheiden gegen Zürich nicht angemessen von den Fans verabschiedet hätten.
Zu Recht?
Ich habe eine Runde auf dem Eis gemacht, habe ins Publikum gewinkt und mich bedankt. Aber ich kann nicht 7000 Personen die Hand reichen. Die Spieler sind rasch in der Kabine verschwunden, weil sie sehr enttäuscht waren, und vielleicht schämten sie sich wahrscheinlich auch, weil wir in der Halbfinal-Serie chancenlos waren. Was ich versprechen kann: Ich habe immer ein offenes Ohr für konstruktive Vorschläge. Aber primär muss ich mich auf meinen Job konzentrieren und Spiele gewinnen.
Der EV Zug hat auf dem Transfermarkt zugelangt und das Kader verstärkt. Wie würden Sie die Identität Ihres Teams beschreiben?
Wir sind grösser und schwerer geworden. Deswegen verlieren wir aber nicht unsere Identität oder stellen unser Spielsystem auf den Kopf. Ich hoffe, dass wir mit mehr physischen Elementen in den Zweikämpfen vor beiden Toren und an den Banden besser dagegenhalten können. Gerade in den Playoffs nimmt die physische Komponente eine wichtige Rolle ein. Gleichzeitig haben wir einige spannende Talente aus der U20 in der Pipeline, die langsam nachrücken.
Kovar, Hofmann, Simion, Herzog, Martschini, Vozenilek, Künzle, Olofsson: Manche Stürmer haben das Potenzial, mehr als 30 Skorerpunkte zu produzieren. Ist die Offensive stärker aufgestellt als je zuvor?
Vergleiche zu früheren Jahren anzustellen, finde ich schwierig. Wir benötigen vier starke Linien, um erfolgreich zu sein. Seit ich beim EV Zug bin, ist das Teil meiner Philosophie. Gerade in den Meisterjahren hat uns ausgezeichnet, mit allen vier Linien offensiv für Gefahr zu sorgen.
Leon Muggli hat eine Wahnsinnssaison hinter sich. Nun folgt das schwierige Jahr der Bestätigung.
Im Schnellzug-Tempo ist unglaublich viel passiert in seinem Leben. Letztes Jahr war er der 17-Jährige aus Cham, niemand erwartete etwas von ihm. Und jetzt soll er plötzlich der gedraftete NHL-Star aus Washington sein? Wir dürfen nicht vergessen, dass er immer noch erst 18 Jahre jung ist. Er soll nicht verheizt werden, sondern seine Unbekümmertheit behalten.
Der Titel-Anspruch der EVZ-Organisation wurde an der Medienorientierung bekräftigt. Bekommen junge Spieler noch Raum, sich zu entfalten?
Man muss sich definitiv von der Vorstellung verabschieden, dass jede Saison zur selben Zeit ein halbes Dutzend Talente in das Team integriert werden können. Ich werde den jungen Spielern weiterhin Gelegenheit geben, Werbung zu machen. Sie sollen ihre Ellbogen ausfahren, um jede Minute Spielzeit kämpfen und nicht in eine Opferrolle schlüpfen.
Captain Jan Kovar war letzte Saison ein Schatten seiner besten Tage. Gelingt ihm die sportliche Auferstehung?
Alle haben gesehen, dass er gelitten hat. Es hat auch mich geschmerzt, dass er sein gewohntes Level nicht abrufen konnte. So wie ich ihn in den letzten Wochen wahrgenommen habe, bin ich positiv gestimmt. Er ist extrem motiviert, die letzte Saison vergessen zu machen. Ich sehe wieder den «Kovi», in den wir uns alle verliebt haben. Sein Charisma, sein Lachen, seine Witze. Innert Sekunden kann er sich vom Spassmacher in den Wettkämpfer verwandeln. Diese Transformation beherrscht niemand so gut wie er.
Eine Captain-Rochade ist für Sie nicht infrage gekommen. Weshalb ist Jan Kovar «Mister Perfect»?
Er hat diese natürliche Autorität, mit welcher er Mitspieler für sich gewinnen kann. Er zerreisst sich jeden Tag fürs Team und kümmert sich um alle und alles. Er empfindet dies nicht als Last, sondern tut all diese Dinge, weil er sie gerne macht.
Das Captains-Team besteht neben Kovar auch aus Lino Martschini und Grégory Hofmann. Sie und der Sportchef haben sich im Sommer öfter mit ihnen ausgetauscht. Sie verlangen, dass die Spieler mehr Verantwortung übernehmen. Was heisst das konkret?
Wenn man lange in einer ähnlichen Konstellation zusammenarbeitet, besteht die Gefahr, dass man gewisse Dinge für selbstverständlich nimmt und nicht mehr hinterfragt. Wir hatten während der letzten Saison Veränderungen im Coaching-Staff. Vieles blieb an mir hängen. Ich bin ein Verfechter von Selbstmotivation. Ich möchte, dass die Spieler mehr Eigeninitiative übernehmen.
Nach dem Rücktritt von Reto Suri braucht es umso mehr Spieler, die vorangehen.
Es geht nicht darum, ihn eins zu eins zu ersetzen. Das wird nicht möglich sein. Ich erwarte, dass Spieler, die schon länger dabei sind, aber sich bis jetzt vor an anderen versteckt haben, mehr aus ihrer Komfortzone treten. Alle müssen unsere Leaderfiguren unterstützen. Die Verantwortung soll auf mehr Schultern verteilt werden, als dies in der vergangenen Saison der Fall gewesen ist.
Welche Klubs erwarten Sie als stärkste Konkurrenten im Kampf um den Meistertitel?
Die ZSC Lions sind für mich der grosse Favorit. Dahinter gibt es einige Klubs, die ich im Vergleich zur letzten Saison stärker einschätze, wie beispielsweise Lugano oder Genf. Auch Lausanne erwarte ich im vorderen Tabellenbereich. Bei Fribourg-Gottéron wird spannend zu beobachten sein, wie sie mit der Dreifachbelastung durch Champions League und Spengler Cup klarkommen. Die ZSC Lions werden das gejagte Team sein und wir wollen uns an ihre Fersen heften.