PERSÖNLICHER RÜCKBLICK
Authentisch, empathisch, nahbar: Wie Dan Tangnes den EVZ in neue Sphären hievte – eine Würdigung des Zuger Meistermachers
Dan Tangnes wird am Dienstag beim Heimspiel gegen den HC Davos vom EV Zug verabschiedet. In Zug hat der Norweger sein Paradies gefunden. Es ist bedeutend mehr als sein sportliches Vermächtnis, was den 45-Jährigen so besonders macht.
Vor der ersten Begegnung mit Dan Tangnes umweht mich das Ungewisse. Wie reagiert er? Innert Sekunden schwinden meine Zweifel. Er nimmt sich Zeit, beantwortet geduldig Fragen. Es gibt Menschen, die einem auf Anhieb sympathisch sind. Tangnes gehört dazu. Und ich nehme wahr, dass selbst Personen, die nichts mit Hockey am Hut haben, ihn mögen. Er ist wie ein guter Freund, dem man nichts Schlechtes wünscht. Weshalb? Wohl kommt Tangnes auch deshalb gut an, weil ihm das Selbstdarstellerische fehlt, weil er bescheiden bleibt. Er bekommt die Zuneigung der breiten Masse, erreicht schweizweit Beliebtheitswerte, wovon andere Trainer träumen. Ein Mann des Volkes, der eine enge Bindung zu Klub, Mitarbeitenden, Spielern und Fans aufbaut. Wenig überraschend erhält er nach seinem Abschied vom EV Zug aus der ganzen Schweiz Fan-Post. Tangnes zitiert daraus: «Du bist der perfekte Botschafter fürs Schweizer Eishockey.» Oder: «Wir schätzen deine Ehrlichkeit und deine Authentizität in den Interviews.»
Als Tangnes 2018 beim EV Zug seine Arbeit aufnimmt, wird er in der öffentlichen Wahrnehmung als Risikotransfer apostrophiert. Ein Norweger als Heilsbringer? Ein Trainer mit bescheidener Vita soll die Titelsehnsucht stillen? Selbst teamintern herrscht Skepsis. EVZ-Rekordspieler Fabian Schnyder sagt heute: «Der Name hat mir nichts gesagt. Aber als ich Dan zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: Wow, was für eine Aura, es hat klick gemacht.»
Nicht nur bei ihm. Tangnes war die perfekte Wahl. Er und der EV Zug, das ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Punkterekord, Cupsieg, zwei Meistertitel und viele magische Momente sind das Ergebnis eines Prozesses, in dem Tangnes eine Leistungskultur implementiert. Schnelles, dynamisches und manchmal begeisterndes Hockey, das die Fans in den Bann zieht. «Ich will spielen wie der FC Barcelona», sagte er mal. Er entfacht eine Euphorie und küsst den darbenden Klub aus dem Dornröschenschlaf wach.
Sein souveränes Handeln beeindruckt mich nachhaltig. Bei jedem weiteren Gespräch merke ich, was ihn besonders macht. Es ist der Dialog auf Augenhöhe. Nahbar, umgänglich, höflich. Es entwickelt sich ein auf Respekt basierendes Arbeitsverhältnis. Das Vertrauen wächst, man unterhält sich über Privates, über Fussball-Philosophien oder die Faszination Roger Federer. Mal tiefgründig, mal unterhaltsam, stets bereichernd.
Es ist der empathische Umgang mit Menschen, der ihn von anderen abhebt. Hart, aber immer fair. Seine Kritik ist sachlich, nie persönlich. Als er einen Spieler «aussortiert», der mittlerweile in der Swiss League unter Vertrag steht, meldet sich dieser Monate später bei Tangnes. Er bedankt sich bei ihm, er hätte ihm die Augen geöffnet. Es gibt Profis, die «maulen», weil sie nicht spielen, aber selbst hinter vorgehaltener Hand zieht niemand über Tangnes her. Eine Mischung aus klar vermittelter Autorität und kumpelhafter Umarmung trifft’s gut. Als er bei einer Matchanalyse das starke Debüt eines jungen Spielers zu erwähnen vergisst, schreibt er dem Chronisten später eine Textnachricht und holt dies nach.
Ich durfte viel von Tangnes lernen, über Eishockey sowieso, aber auch übers Leben. Früher besuchte der heute 46-Jährige Kurse zum Thema Leadership und kombinierte sie mit psychologischen Ausbildungen. Nur wer sich selbst genug gut kennt, kann andere führen, so seine Überzeugung. Er kann seine Gesprächspartner emotional packen, sie motivieren. In Hunderten von Unterhaltungen wird für mich immer wieder erlebbar: Er bleibt authentisch, bodenständig und demütig. «Wir fliegen nicht zu hoch, wenn wir gewinnen, wir sind nicht deprimiert, wenn wir verlieren», pflegt er stets zu sagen. Er vermittelt nie das Gefühl, in Übermut oder gar Arroganz auszubrechen. Plumpe und freche Fragen kontert er souverän, mit Stil und Gelassenheit.
Er spricht nicht nur über Selbstreflexion, sondern lebt sie vor. Er hat keinen falschen Stolz, um sich später zu entschuldigen, wenn er – vollgepumpt mit Emotionen – schroffe Antworten gibt. Er stellt auch mal einen Journalisten in den Senkel, wenn seine Worte nicht richtig wiedergegeben wurden. «Sie können über mich schreiben, was Sie wollen. Doch zitieren Sie mich korrekt.» Loyalität und Vertrauen liegen ihm am Herzen. Als er einen Betreuer erwischt, wie dieser verbotenerweise Alkohol für die Spieler in die Kabine schmuggelt, folgt ein Donnerwetter.
Anhaltend hoher Druck, unregelmässige Arbeitstage, kurze Regenerationsphasen, 24-stündige Erreichbarkeit während sieben Tagen in der Woche. Trainer müssen einiges aushalten. Trotzdem bezeichnet Tangnes seine Arbeit beim EVZ als «Traumjob». Doch in seinem letzten Amtsjahr ist er nicht mehr Dan Tangnes, wie er leibt und lebt. Die schwierige familiäre Situation belastet ihn, er kommt an die Grenzen des Machbaren. Die Unbeschwertheit schwindet. Seine Rückenbeschwerden rauben ihm Energie, die anderswo fehlt. Er gibt den starken Mann, doch er wirkt müde, erschöpft, auch gereizt.
Tangnes will nicht, dass ihn das Management eines Tages aus der Arena tragen muss. Er spürt, eine Veränderung muss her. Der Zeitpunkt ist da für neue Leute, neue Ideen, neue Energie. In all den Jahren lehnt er nie eine Interviewanfrage ab, verschiebt private Termine, um ein Zeitfenster zu schaffen. Er will es allen recht machen, was ihm auch als Schwäche ausgelegt wird. Die letzten Wochen und Monate müssen ihn fast aufgefressen haben. Er erkennt, dass seine Inputs nicht mehr überall auf Gehör stossen. Und er muss mitansehen, wie das Team auf dem Eis Mal für Mal auseinanderfällt. Ein unwürdiges Ende, das ihm nah geht.
Als er sich bei seinem letzten Tanz von den Fans verabschiedet, schiessen ihm Tränen in die Augen. Es sind bewegende Szenen. Für ihn steht stets der EVZ im Mittelpunkt. Er tut bei seinem Abschied nichts anderes und stellt sich auf dem Eis in der hinteren Reihe auf, ganz Tangnes-like. Er verstellt sich nicht, bleibt sich selber treu – bis zum Schluss. Mensch, Dan!
Phillip Zurfluh
LZ