Der HC Davos vor der Brust, das Ende einer Ära vor Augen. Trainer Dan Tangnes erzählt, wie er den EV Zug auf die Playoffs einstellt und was er über «Sorgenkind» Daniel Vozenilek denkt. Bei einem EVZ-Spieler gerät er ins Schwärmen.
Sie haben zusammen mit Davos-Trainer und Ihrem guten Freund Josh Holden eine TV-Dokumentation gedreht. Euer Wunschszenario wäre ein Finalduell gewesen. Jetzt kommt es bereits im Viertelfinal zum Aufeinandertreffen. Was löst diese Serie in Ihnen aus?
Dan Tangnes: Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, die Begegnung ist nichts Besonderes. Wir kennen uns in- und auswendig. Ich denke aber nicht, dass die Serie von den Coaches entschieden wird, sondern von den Spielern auf dem Eis.
Standen Sie nach der Qualifikation in Kontakt mit ihm?
Ja, er hat mich zu Hause besucht. Wir haben uns als Privatpersonen und nicht in der Funktion als Trainer unterhalten. Während der Saison sprechen wir sowieso eher selten über Eishockey. Egal, ob wir die Hürde Davos überspringen oder daran scheitern, unsere Freundschaft wird diese Serie auf jeden Fall überleben.
Können Sie ihn bezüglich Taktik überhaupt noch überraschen?
Man findet immer ein Detail, um den Gegner auszutricksen. Es kann eine Bully-Situation oder ein neu einstudierter Spielzug im Powerplay sein. Als Trainer musst du deine Mannschaft vor einer Playoff-Serie optimal vorbereiten. Doch auf der anderen Seite steht ein Trainer, der die Spieler genauso akribisch einstellt. Ob der Matchplan aufgeht, ist immer auch vom Gegner abhängig. Details können den Unterschied ausmachen, und trotzdem sollten wir uns nicht zu stark auf ihn versteifen.
Sie mussten sich einer mehrstündigen Rückenoperation unterziehen und werden immer noch von Schmerzen geplagt. Die Trainings leiten Sie von der Bank aus. Stossen Sie gerade körperlich an Ihre Grenzen?
Im Gegenteil. Ich habe viel Energie und würde am liebsten sofort aufs Eis, aber ich darf nicht. Die Heilung braucht Zeit. Ich bin ein aktiver Mensch, das macht die Sache noch mühsamer. Ich versuche es locker anzugehen und will nichts forcieren. Die Spieler sind ohnehin hochmotiviert und müssen nicht von mir gepusht werden. An Motivation wird es nicht scheitern. Jeder weiss, was auf dem Spiel steht.
Ist Ihr Arbeitsaufwand in den Playoffs grösser als während der Qualifikation?
Ich würde sagen, mein Fokus ändert sich. Die Basis legt man von Juli bis März. Alle kennen das System, jeder kennt seine Rolle. In den Playoffs zählt anderes. Meine Aufgabe besteht darin, dass sich die Spieler nicht vom Gegner, von den Schiedsrichtern oder von den Fans ablenken lassen. Es geht auch darum, sich verantwortungsvoll zu verhalten. Ist es notwendig, sich in Menschenmengen zu begeben? Muss man jeden Tag Freunde zu sich nach Hause einladen? Da die Grippeviren eh schon zirkulieren, müssen wir es nicht noch auf die Spitze treiben.
Stellen Sie Regeln auf?
Nein. Es geht um gesunden Menschenverstand und darum, sich keinen unnötigen Risiken auszusetzen.
Der EV Zug hat am meisten Zwei-Minuten-Strafen gesammelt. Haben Sie ein Disziplinproblem?
Ja und Nein. Wir fordern von den Spielern eine harte Zweikampfführung. In einigen Szenen wurde im Übereifer die Grenze des Erlaubten überschritten. Es gab Strafen, wo wir uns naiv verhalten haben. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.
Gegen Davos wird Disziplin elementar sein.
Wenn man zu viele Strafen kassiert, bezahlt man den Preis. Davos soll sich die Tore erarbeiten müssen und nicht von unseren Disziplinlosigkeiten profitieren. Am Ende wird aber das Spiel bei Gleichbestand auf dem Eis eine grössere Bedeutung haben. Genf war beispielsweise im Powerplay ligaspitze und hat die Play-Ins verpasst. Uns ist bewusst, dass wir das beste Hockey spielen müssen, um Davos zu besiegen.
Der herbstliche Höhenflug von Stürmer Daniel Vozenilek ist längst passé. Er hatte jüngst eine mitunter negative Körpersprache. Was stimmt Sie optimistisch, dass er den Turnaround schafft?
Ich möchte etwas ausholen. Man muss verstehen, dass er ein Spätzünder ist. Erst fünf Jahre ist es her, als er noch in der zweithöchsten tschechischen Liga sein Geld verdiente. Dann ging es nur noch bergauf mit zwei Meistertiteln und WM-Gold. Bei uns hat er sofort eingeschlagen, die Erwartungen stiegen ins Unermessliche, doch plötzlich ging nichts mehr leicht von der Hand. Er war mit Widerständen konfrontiert, die er so nicht kannte. Es staute sich eine Menge Frust auf. Er haderte, seine Unzufriedenheit wurde sichtbar.
Welche Hebel haben Sie als Trainer in der Hand?
Das Wichtigste ist, dass er spürt, dass wir ihn supporten. Ich habe ihn in letzter Zeit viel entspannter, glücklicher, ausbalancierter und fokussierter wahrgenommen. Wenn er sich auf seine Leistung konzentriert, dann kann er ein X-Faktor sein und eine entscheidende Rolle spielen. Wir brauchen ihn.
Seine Zündschnur ist kurz, er spielt immer am Limit. Davos wird alles daransetzen, ihn mit Provokationen zu bearbeiten.
Für ihn wie für alle Spieler gilt, die Emotionen zu kontrollieren. Das wird ein Schlüssel in dieser Serie sein.
Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Meisterschaften. Muss der EVZ als bestes Offensivteam in den Playoffs die Spielanlage ändern, um zu bestehen?
Ich erwarte von unseren Stürmern, dass sie defensiv mindestens so hart arbeiten, wie sie das offensiv tun. Deshalb ist auch Andreas Wingerli ein extrem wichtiger Spieler für uns. Alle müssen ihr Ego zurückstellen und für das Team spielen. Ich bin zufrieden mit der Entwicklung, die das Team durchgemacht hat. Wir haben ein Gerüst aufgebaut, das nicht einfach in sich zusammenfällt. Als bis zu sechs arrivierte Verteidiger fehlten, war es schwierig, physisch hart zu spielen. Unser Kader wird gegen Davos nicht komplett sein, aber gesünder als auch schon. Die Playoffs sind eine andere Geschichte. Es geht ruppiger zu und her, und der Druck nimmt zu. Für unsere jungen Spieler ist wichtig, dass sie nicht mit Angst, sondern mit Freude spielen.
Bei Davos rockten die ausländischen Angreifer Adam Tambellini, Matej Stransky, Filip Zadina mit je über 20 Toren. Wie wollen Sie diese Stürmer ausbremsen?
Guter Versuch, aber Sie verstehen, dass ich Ihnen unsere Strategie nicht präsentiere. Es sind Top-Spieler, die es zu respektieren gilt. In den letzten Jahren war eine unserer Stärken, die Torproduktion während der Qualifikation auf viele Schultern zu verteilen, um in den Playoffs über möglichst viele Spieler mit viel Selbstvertrauen zu verfügen.
Ihr Abschied von Zug naht. Sie haben in sieben Jahren Dutzende Spieler auf ihrem Weg begleitet. Wer hat Sie und den Klub am meisten geprägt?
Lino Martschini. Er ist einer der talentiertesten Spieler, mit denen ich jemals zusammengearbeitet habe. Sein Skating, seine Technik, sein Schuss, alles auf allerhöchstem Niveau. Und das mit einer Grösse von 168 Zentimetern. Davor habe ich allergrössten Respekt. Als ich 2018 hierhergekommen bin, habe ich viele Personen interviewt. Sie haben gesagt, der EVZ und Lino seien nicht gemacht für Playoffs, weil zu soft. Ich habe zu Lino gesagt: Das ist der grösste Mist, den ich jemals gehört habe. In Ihrer ersten Saison wurde Martschini Playoff-Topskorer.
Wie haben Sie ihn zu einem besseren Spieler geformt?
Seine Nachteile in puncto Postur macht er mit Ehrgeiz, Hartnäckigkeit, Entschlossenheit und Cleverness wett. Für mich ist er bis dato der beste Spieler, der jemals im EV Zug gespielt hat. Ich denke, es wird lange Zeit niemand mehr in Zug geben, dessen Symbolkraft dieses Ausmass hat. Seinen Verdiensten wird man sich wohl erst bewusst, wenn er mal nicht mehr da ist.
Als Sie 2018 in Zug auftauchten, wurden Sie im EVZ-Umfeld und von Medien kritisch beäugt. Der Unterton: Was ist denn das für einer?
Ich erinnere mich, aber ich habe mich nicht damit auseinandergesetzt. In einer Sportart, welche die Fans berührt, habe ich gelernt, emotional Distanz zu meinem Job zu wahren. Ich vertraue meinen Fähigkeiten und benötige keine Ratschläge von Fans oder Medien, was ich tun soll. Ich weiss, dass ich nicht der schlechteste Coach bin, wenn ich verliere und nicht der beste Coach, wenn ich gewinne.
Wenn Sie dann mal weg sind: Wie soll man Sie in Erinnerung behalten?
Zunächst freut es mich, dass ich viele Leute emotional berühren konnte. Ich werde Zug mit positiven Gefühlen verlassen, weil ich mit mir im Reinen bin. Als Trainer kann man nicht Everybody’s Darling sein, und das ist auch gut so. Es ist toll, dass ich den EVZ national und europäisch in ein positives Licht rücken konnte. Ich versuchte, das Beste aus dem Klub herauszuholen, wollte ein guter Botschafter sein. Das ist mir gelungen. Wenn die Fans dann sagen, «Dan war einer von uns», ehrt mich das.
Man sagt, der letzte Eindruck zählt. Spüren Sie deshalb persönlich noch mehr Druck?
Je mehr Erfolg du dir erarbeitest, desto höher sind die Erwartungen, desto höher ist der Druck. Ich mag es, mit Druck umzugehen. Ich bin motiviert und inspiriert, ein erfolgreiches Finish hinzulegen. Ich möchte ein weiteres, schönes Kapitel im EVZ-Buch schreiben, um noch mehr einzigartige Momente zu kreieren. Meine Zeit hier ist ohnehin schon speziell. Ich bin stolz auf das, was ich bewirken konnte. Von Zug wegzugehen mit einem Titel – es wäre das perfekte Ende.